Sonntag, 9. September 2007

Neun Wege, Gott zu lieben


Stille Zeit heißt, frühmorgens halb verschlafen am Schreibtisch alleine die Bibel zu lesen, oder? Jein. Manche begegnen Gott (auch) auf andere Art und Weise, fühlen sich ihm vielleicht eher bei anderen Gelegenheiten nahe. Gary L. Thomas, Buchautor aus Washington, zeigt mit seinem Buch „Neun Wege, Gott zu lieben - Die wunderbare Vielfalt des geistlichen Lebens“, dass unterschiedliche Zugänge zum Glauben, zu Gott bestehen. „Gott hat uns mit verschiedenen Persönlichkeiten und Temperamenten ausgestattet. Es ist also nur natürlich, dass diese Verschiedenheit sich auch in der Form unserer Anbetung niederschlägt“ (S. 18). Thomas warnt:
„Wenn wir selbst ganz begeistert sind von einem (für uns) wichtigen Zugang zum christlichen Glauben, dann ziehen wir manchmal den Schluss, dass es anderen ganz genau so gehen muss – und wenn nicht, dann ist mit ihrem Glauben etwas nicht in Ordnung“ (S. 13).
Gary Thomas unterscheidet neun Möglichkeiten, seine „Seele zu füttern“ und verschwiegt dabei auch Versuchungen nicht:
1. Der Natur-Typ begegnet Gott in seiner Schöpfung (z.B. Franz von Assisi). Gefahr dabei: Individualismus; Irrglaube; Natur als Idol.
2. Der sinnliche Typ begegnet Gott mit allen Sinnen (z.B. Hesekiel). Gefahr dabei: Anbetung ohne innere Überzeugung; Verherrlichung der Schönheit; Hingabe als Selbstzweck.
3. Der traditionalistische Typ begegnet Gott durch Rituale und Symbole (z.B. Esra). Gefahr dabei: Gott dienen, ohne ihn zu kennen; soziale Pflichten vernachlässigen; andere verurteilen; mechanisches Wiederholen; Vergötzung von Riten.
4. Der asketische Typ begegnet Gott in Einsamkeit und Schlichtheit (z.B. Johannes der Täufer). Gefahr dabei: Die persönliche Frömmigkeit zu sehr betonen; Leid suchen um des Leides willen; Gottes Gunst erwerben wollen.
5. Der aktivistische Typ begegnet Gott durch Konfrontation (z.B. Mose, Elia und Elisa, Habakuk). Gefahr dabei: Andere verurteilen; Ehrgeiz und Sex; elitäre Gedanken und Groll; übertriebene Geschäftigkeit, mangelnde persönliche Heiligung.
6. Der fürsorgliche Typ begegnet Gott durch Nächstenliebe (z.B. Mordechai, Marta von Betanien). Gefahr dabei: Andere verurteilen; anderen dienen als Dienst an sich selbst; eingeschränkter Blickwinkel; Menschen vernachlässigen, die uns am Nächsten stehen.
7. Der enthusiastische Typ begegnet Gott durch Mysterien und Feiern (z.B. David). Gefahr dabei: Erfahrungen um ihrer selbst willen suchen; unabhängig sein; „gute Gefühle“ und „gute Anbetung“ sind nicht das Gleiche.
8. Der kontemplative Typ begegnet Gott durch grenzenlose Hingabe (z.B. Maria von Betanien). Gefahr dabei: Einseitige Anbetung; Gott gleich werden wollen; Meditation ohne Opferbereitschaft; Abhängigkeit von spirituellen Erlebnissen.
9. Der intellektuelle Typ begegnet Gott mit dem Verstand (z.B. Salomo, Augustinus). Gefahr dabei: den Streit zu sehr lieben; Wissen statt Handeln; Stolz.

Gary Thomas schafft es in seinem Buch, verschiedene Zugänge zu Gottes Nähe ausgewogen zu erläutern und durch Beispiele zu illustrieren. Damit weckt er einerseits Verständnis für Christen, die vielleicht vollkommen andere Bedürfnisse, Gewohnheiten und Herangehensweisen haben als man selber. Andererseits ermöglicht er dem Leser die Überprüfung, ob er in Gefahr steht, selber zu einseitig zu agieren (sozusagen an Mangelernährung zu leiden) oder „typischen Fallen“ eines bestimmten Zugangs zu erliegen.
Thomas fasst zusammen:
„Jede Gemeinde ist voll von miteinander rivalisierenden geistlichen Temperamenten. Es ist zu viel verlangt, wenn man erwartet, dass ein einstündiger Gottesdienst alle sieben Tage die geistlichen Bedürfnisse jedes Einzelnen befriedigt. Meine Hoffnung ist, dass dieses Buch es den Menschen leichter macht, den Gemeindegottesdienst regelmäßig durch ihre persönlichen Zeiten und Formen der Anbetung zu ergänzen. […] Es grenzt an Götzendienst, wenn man meint, ein einziger Lehrer könne einem alles geben, was man braucht, um im Glauben zu wachsen. […] Viel gesünder ist der Ansatz, ein Gebets- und Glaubensleben zu entwickeln, dessen Früchte umgekehrt Gemeindeleben zugute kommen“ (S. 252).
Mir liegt, das hat mich nicht sehr überrascht, offensichtlich vor allem der intellektuelle Typ („Glaube muss zwar erlebt, aber vor allem verstanden werden. Christen mit diesem geistlichen Temperament fühlen sich Gott wahrscheinlich am nächsten, wenn sie eine neue Erkenntnis über ihn gewonnen haben“) sowie der aktivistische („Aktivisten … schöpfen ihre Energie mehr aus der Interaktion mit anderen – selbst wenn es sich dabei um Konflikte handelt“). Auf Rang 3, man hören und staune, der asketische Typ. Na, da muss ich noch mal drüber nachdenken ;-)

Fazit: ein lesenswertes und größtenteils überzeugendes Buch, das zahlreiche Gedankenanstöße bereit hält. Meine Empfehlung.

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